Macht | ---> | Anti-Macht | ||||
nicht die Macht erobern, - - sondern die Macht auflösen |
zeile | |||||
"Das
Ziel: die Welt verändern, aus ihr einen würdigen Ort
für Menschen machen" |
"Das Denken muss negativ sein ... Wir wollen die Welt nicht verstehen, ohne sie zu negieren." | |||||
früher mit Partei Organisation usw | Staat brauchen wir doch? Eine würdige Welt kann nicht mittels des Staates geschaffen werden |
die Macht ablehnen, negieren reicht nicht | kreative Macht gewaltlos, im fluss der Handlungen | |||
Kapitalismus | machen , aber wie | |||||
...dass die Lösung in der Führung einer avantgardistischen Partei gesehen werden müsste. Tatsächlich war das aber überhaupt keine Lösung, denn damit wurde die eine Form instrumenteller Macht durch eine andere ersetzt. | Kapitalismus ist nicht primär dem
Interesse einer bestimmten Klasse zuzuordnen, etwa der
Bourgeoisie sondern aus einer ganz bestimmten Lebenspraxis insgesamt beständig hervorgeht und an dessen Errungenschaften sie alle teilhaben, wenn auch in höchst unterschiedlicher Weise. |
jajaja | anders leben | eine instrumentelle Macht, die einen
Bruch mit der Gesellschaftlichkeit darstellt. Durch Abwerfen dieser instrumentellen Macht, bliebe sozusagen als guter Kern die kreative übrig. |
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Anti-Macht | ||||||
Das
Ziel: die Welt verändern, aus ihr einen würdigen Ort
für Menschen machen |
zeile | |||||
Die einzige Form, um radikale Veränderungen zu erreichen, ist nicht die Eroberung der Macht, sondern die Auflösung der Macht | Das Denken muss negativ sein ... Wir wollen die Welt nicht verstehen, ohne sie zu negieren. | |||||
Kapitalismus ist nicht primär dem Interesse einer bestimmten Klasse zuzuordnen, etwa der Bourgeoisie sondern aus einer ganz bestimmten Lebenspraxis insgesamt beständig hervorgeht und an dessen Errungenschaften sie alle teilhaben, wenn auch in höchst unterschiedlicher Weise. |
Eine würdige Welt kann nicht mittels des Staates
geschaffen werden Kapitalismus |
stimmt nicht keine Quelle | ||||
eine
instrumentelle Macht, die einen Bruch mit der keine Quelle |
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ein | Statement: | von | franz | schandl | ||
Gerechtigkeit ein Ideal oder die reine Gewalt? |
zeile | |||||
"Das Gerechte ist folglich die Achtung vor Gesetz und buergerlicher Gleichheit, das Ungerechte die Missachtung von Gesetz und buergerlicher Gleichheit." | ||||||
Gerechtigkeit ist eine begriffliche Abstraktion des aequivalenten Tauschens. Sie meint die gesellschaftlich kodifizierte proportionale Zuteilung von Anspruechen, d.h. von Geld, Waren oder Leistungen an verschiedene Individuen oder Gruppen. | Als Ideal mag Gerechtigkeit unmoeglich sein, im Realen wird sie taeglich vollzogen. | Die Frage nach der Gerechtigkeit ist immer eine nach
dem Recht. Die reine Gerechtigkeit waere demnach die
reine Gewalt. Etwas ueberspitzt koennte man sagen: Gerechtigkeit ist diesubjektive Gewalt, die man nicht hat. |
Gerechtigkeit ist die Anrufung der buergerlichen Seele durch das buergerliche Subjekt gegen die buergerliche Realitaet. Die Pflicht, das Recht zu moegen, ist da schwieriger, aber die selige Gerechtigkeit, sie ist unser Schatz. |
|||
Die gemeinhin eingeforderte Gerechtigkeit kann also nichts anderes sein als die gewuenschte Gesetzlichkeit, letztlich zugespitzte buergerliche Moral in ihrer ideellen Form. | An die Gerechtigkeit zu glauben, unterscheidet sich
nicht wesentlich davon, an Gott zu glauben. der Goetzendienst am Vokabular eigentlich unuebersehbar. |
Da wird penetrant die ideologische Basis, die hehre Gerechtigkeit beschworen, um sich ja nicht mit den Manifestationen des Rechts auseinandersetzen zu muessen. |
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Bemerkungen zu John Holloway, Zwölf Thesen über Anti-Macht
Vortrag von Holloway auf dem Kongress Buko 25, 9.-12. Mai 2002,
--Beginnen wir mit einem Schrei, ... : Nein!
Das Denken muss negativ sein ... Wir wollen die Welt nicht
verstehen, ohne sie
zu negieren. Das Ziel der Theorie besteht darin, die Welt negativ
zu
begreifen, nicht von der Praxis getrennt, sondern als ein Moment
von Praxis,
als Teil des Kampfes, um die Welt zu verändern, um aus ihr einen
würdigen Ort
der Menschheit zu machen.-- (Th. 1)
UW:
Ein marktschreierischer pseudoradikaler Auftakt. Geschrien wird
schon ewig und
das war gut so. Schreie waren und sind aber nicht der Anfang von
Wegen aus
dem Kapitalismus. Wo Schreie wirksam wurden, kam es zu einer
Modernisierung
und partiellen Zivilisierung des Kapitalismus. Schreiend bewegten
sich
tatsächlich geschichtsmächtig werdende Menschen nicht aus ihm
hinaus, sondern
in ihn hinein -- so die bisherige Arbeiterbewegung.
Hat der Schrei aber nicht wenigstens Sinn als Teil der
Konstitution des Neuen?
Nein, denn wo Menschen gemeinschaftlich tatsächlich praktisch
versuchen (ob
ihnen die möglich Dimension des Handelns bewusst ist oder nicht)
--einen
w¼rdigen Ort-- ihres eigenen Lebens zu schaffen, hat die
Schreierei ihren Sinn
verloren.
Es geht heute eben nicht mehr um Negativität. Diese hat sich
immer als
Bestätigung des Negierten erwiesen (was oft
innerkapitalistischen
zivilisatorischen Fortschritt bedeutete). Das ist die alte
Geschichte.
Um in Holloways Begriffen zu bleiben: Es geht heute um die
Negation der
Negation, um das positive Begründen des Neuen. Das kann nicht
auf der Ebene
der schreienden Ablehnung des Alten erfolgen. Es geht sozusagen
um das
Negieren des Schreiens selbst und zwar durch eine praktische
Bewegung, durch
die die Menschen nicht einfach --Bedingungen ihrer
materiellen Existenz unter
ihre bewusste gemeinschaftliche Kontrolle bekommen-- (so
oder ähnlich bei
Marx). Das könnte zum Beispiel auch für erfolgreiche
Lohnkämpfe gelten oder
etwa für Gesetzesänderungen wie den 10-Stundenbill, den Marx
als Sieg der
Politischen Ãkonomie der Arbeiterklasse über die der
Bourgeoisie bezeichnete.
Es geht heute vielmehr um die Aufhebung der Bedingung, unter der
es eine
Existenzfrage war, um Lohnerhöhungen zu kämpfen. Es geht um die
Aufhebung der
Lohnarbeit selbst. Das ist zukünftig die Existenzfrage. Es geht
nicht um
einen --Sieg der Politischen Ãkonomie der
Arbeiterklasse--, Marx, (diese
historische Mission des Proletariats ist erledigt). Es geht um
die Aufhebung
des politischen Charakters (= Klassen-, Macht- und Wertcharakters
=
bürgerlich-kapitalistische Formen ) von Produzieren und Leben
selbst.
Das ist eine höchst sachliche Angelegenheit, der mensch durch
Schreien keinen
Schritt näher kommt. Auch nicht durch groÃe Aufmärsche,
Demonstrationen usw.
(die können auch heute noch einen anderen, innerkapitalistischen
Sinn haben,
den ich nicht negiere.)
Es gilt vielmehr mit Leidenschaft sachlich folgende Fragen zu
stellen:
Existiert gemeinschaftliches selbstbestimmtes Schaffen von
materiellen und
kulturellen Bedingungen der gesellschaftlichen Existenz in
Keimformen
bereits? Hat dies vielleicht immer schon existiert, konnte aber
aus
historischen Gründen nie geschichtsbestimmend werden? Ist dies
heute oder
zukünftig möglich? Wo, in welchen Praxisformen engagiere ich
mich demzufolge?
Mit unseren Diskussionen über den postfordistischen Kapitalismus
näheren wir
uns solchen Fragen seit langem und mit dem Streit über die
Keimformen seit
einiger Zeit sind wir richtig dran. Partiell sind dies auch
Reflexionen über
eigene konkrete Lebens-Weisen in verschiedenen Zusammenhängen.
Die theoretische Frage, an der wir uns unter anderem abmühen,
ist die nach den
besonderen Formen der Konstitution von solchen
zukunftsträchtigen
Assoziationen, solche mit der Potenz, neue Gesellschaftlichkeit
zu
konstituieren. Zum Teil sind wir zur Auffassung gekommen (andere
negieren
oder relativieren genau dies):
Solche Gemeinschaften mit der Potenz neue Gesellschaft zu
begründen können
können unmöglich solche sein, die
wertförmig,
staatsförmig und (eines bedingt hier das andere)
ideolgievermittelt (hierunter fällt für mich immer noch auch
religiöse
Vermittlung mit dem Wesenszug eines Bezugs auf ein höheres
Wesen) sind.
Was es positiv ist bzw. sein kann, das lässt sich eben mit der
Analyse
angenommener konkreter Keimformen erkennen.
Bezüglich der Staatsförmigkeit als Barriere für praktische und
theroretische
Suche nach Wegen aus dem Kapitalismusbin ich mit Holloways Thesen
2 und 3
völlig einverstanden:
2. Eine würdige Welt kann nicht mittels des Staates geschaffen
werden
Kapitalismus
Die Trennung der Menschen von ihrem eigenen Tun.
Staat --unabhängig von den konkreten Inhalten seiner
Politik--
die Menschen von der Kontrolle über ihr eigenes Leben zu
trennen.--
= --eine soziale Form handelt, die in die Totalität der
kapitalistischen
sozialen Verhältnisse eingebettet ist--
= --reproduziert unausweichlich diesen Spaltungsprozess, wo
Führer von den
Geführten, wo ernste politische Aktivität von persönlichen
Angelegenheiten
getrennt werden.--
deshalb staatsorientierte Opposition
= --Unterordnung der Opposition unter die Logik des
Kapitalismus--
3. Die einzige Form, um radikale Veränderungen zu erreichen, ist
nicht die
Eroberung der Macht, sondern die Auflösung der Macht
Revolution
ist nicht --Ãbernahme der Macht--
= --Auflösung der Macht--
Auch in den folgenden Thesen (bis 12) finde ich kluge Sätze:
--Von den kapitalistischen Formen sozialer Verhältnisse
wird so gesprochen, als
wenn sie zu Beginn des Kapitalismus entstanden wären und solange
existierten
bis dieser durch eine andere Produktionsweise ersetzt wird. Mit
anderen
Worten erfolgt eine Trennung von Entstehung und Existenz: Die
Entstehung des
Kapitalismus wird in die Vergangenheit verlegt und man nimmt an,
dass seine
heutige Existenz stabil sei.-- (Th. 10)
UW: Richtig. Kapitalismus muss als etwas begriffen werden, das
nicht primär
dem Interesse einer bestimmten Klasse zuzuordnen ist, etwa der
Bourgeoisie
(deren Sturz demzufolge den Weg aus dem Kapitalismus eröffnen
müsste),
sondern, das aus einer ganz bestimmten Lebenspraxis etwa der
Menschen in den
Metropolen insgesamt beständig immer wieder hervorgeht und an
dessen
Errungenschaften (und an dessen Horror) sie alle teilhaben, wenn
auch in
höchst unterschiedlicher Weise.
Holloway spricht nun von einer instrumentellen Macht, die einen
Bruch mit der
(offenkundig sonst an sich gegebenen) Gesellschaftlichkeit
darstellt. Durch
Abwerfen dieser instrumentellen Macht, bliebe sozusagen als guter
Kern die
kreative übrig. Wo kommt die her? Sie ist schlicht ewig da,
sozusagen
gottgegeben: --Der Kampf gegen die Unmenschlichkeit ist
allgegenwärtig, er ist
unserer eigenen Existenz als menschliche Wesen
eingeschrieben.--
Schön, dass nicht nur das Böse, sondern auch das Gute immer und
überall ist.
Das ist peinlich. Was Marx völlig richtig gegen Feuerbach sagt,
trifft auch
H., der mit solchen Erklärungen etwa die Thesen 2 und 3 wieder
aufhebt. --...
das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum
inwohnendes
Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der
gesellschaftlichen
Verhältnisse.
Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht
eingeht, ist
daher gezwungen:
1. von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und ... ein
abstrakt -
isoliert - menschliches Individuum vorauszusetzen.
2. Das Wesen kann daher nur als --Gattung--, als
innere, stumme, die vielen
Individuen natürlich verbindende Allgemeinheit gefaÃt
werden.-- (Marx, Thesen
über Feuerbach. MEW 3/6) Weiter: --Der Standpunkt des
alten Materialismus ist
die bürgerliche Gesellschaft, der Standpunkt des neuen die
menschliche
Gesellschaft oder die gesellschaftliche Menschheit.-- MEW
3/7.).
Nicht nur mit dem ewig menschlichen Wesen verbleibt Holloway auf
dem
Standpunkt der --bürgerlichen Gesellschaft-- und
gelangt nicht auf den der
--menschlichen Gesellschaft-- Auch mit folgenden
Aussagen steht er diesseits
des bürgerlichen Horizontes (und damit auf den Kampf um
staatlich-politischen
Einfluss orientiert, den er ja eigentlich ablehnt):
Er klagt mit oder ohne Schrei Gerechtigkeit ein [--Die
Ungerechtigkeiten,
Gewalt und Ausbeutung sind so offensichtlich, dass kein Ausweg
möglich
scheint.-- (Th. 9)], um Auswege aus der Ausbeutung zu
finden. H. weiÃ
offensichtlich nicht, dass kapitalistische Warenproduktion auf
dem Austausch
von Ãquivalenten beruht und dass dadurch die
kapitalistische Ausbeutung als
eine höchst gerechte Angelegenheit konstituiert wird. Wert der
Ware
Arbeitskraft = gerechter Lohn. Ob dies nur zum Dahinvegetieren
langt oder
auch noch zur Segeljacht auf dem Wannsee, es handelt sich in
jedem Fall um
Ausbeutung und diese funktioniert auf der Basis von äquivqlentem
Austausch,
ist also gerecht. Wer Schwierigkeiten mit dieser Bewertung von
Gerechtigkeits-, Gleichheits- und sonstigen Forderungen hat lese
Franz
Schandl (siehe mail von Stefan Meretz vom 16.2.).
Worum geht es H.? Will er tatsächlich die Lohnarbeit aufheben?
Dann ist es
Unsinn von Gerechtigkeit zu reden. Oder will er durch
Klassenkampf etwa den
Wert der Ware Arbeitskraft erhöhen? Dann müsste er aber auch
vom Staate, von
Avantgarden usw. als von zivilisatorischen Instrumenten, von
instrumentellen
mächten reden. Das lehnt er aber ab nicht und genau das finde
ich richtig.
Der --Wutschrei gegen den Horror des Kapitalismus--,
der als Forderung nach
Gerechtigkeit daher kommt, öffnet allerdings keinen Weg aus dem
Kapitalismus.
Noch einmal, um Missverständnissen vorzubeugen: Diesbezügliche
--Rebellion bis
zu Kämpfen, um die Kontrolle über den Arbeitsprozess oder
Zugang zu Bildung
oder Gesundheitsdiensten zu erlangen oder zu verteidigen--
haben viel bewirkt
für die einstige Zivilisierung des Kapitalismus und diese
Errungenschaften
mussten rechtlich/staatlich fixiert und institutionalisiert
werden. Das waren
u.a. groÃe Leistungen der Arbeiterbewegung. Sie hat auch
damit
Voraussetzungen geschaffen für die mögliche Aufhebung des
Kapitalismus. Für
den Weg aus ihm heraus bringen diese Art Kämpfe nichts.
H. umkreist Begriffspaare wie instrumentelle und kreative Macht,
Tun und Sein
und versucht sich in akademisch-abstrakter Geschichtsphilosophie.
Der Sinn
ist mir nicht klar, zumal er er nicht auf das Niveau
--alter-- Diskussionen
über Entfremdung und Fetischismus kommt und sich in erhebliche
Widersprüche
verwickelt (Kampfziele anviisiert und Emotionen mobilisiert, die
gerade nicht
auf Auflösung von Macht, sondern auf "instrumentelle"
Macht gerichtet sind.)
Sinnvoller scheint mir, theoretisch bzw. praktisch konkret nach
den
Praxisformen zu fragen, mit denen sich assoziierende Menschen
wenigstens
partiell jenseits von Wert- und Staatsförmigkeit materielle
Bedingungen ihrer
Existenz schaffen oder schaffen können.
LiebeR WAKies,
dieser Artikel aus der jungen Welt vom 12.02.2003 wird Ihnen
empfohlen von Stefan
Meretz.
Gerechtigkeit ein Ideal oder die reine Gewalt?
Sozialabbau? Ja, aber sozial gerecht muss er sein, sagt
Schroeder. Und 60
US-amerikanische Intellektuelle hoffen, dass der Irak-Krieg,
"die Moeglichkeit einer auf
Gerechtigkeit gegruendeten Weltgemeinschaft zu staerken
vermag"
Franz Schandl
"Das Gerechte ist also etwas Proportionales", wusste
schon Aristoteles. "So ist das
Gerechte als ein Regulierendes nichts anderes als die Mitte
zwischen Verlust und
Gewinn." Was dann heisst: "Das Gerechte ist folglich
die Achtung vor Gesetz und
buergerlicher Gleichheit, das Ungerechte die Missachtung von
Gesetz und buergerlicher
Gleichheit." Gerechtigkeit ist nichts anderes als eine
begriffliche Abstraktion
aequivalenten Tauschens. Sie meint die gesellschaftlich
kodifizierte proportionale
Zuteilung von Anspruechen, d.h. von Geld, Waren oder Leistungen
an verschiedene
Individuen oder Gruppen. Kommt es zu Streitigkeiten, dann
entscheidet die buergerliche
Justiz: Gerecht ist das Gericht. Alles andere ist ein Geruecht.
Die Frage nach der Gerechtigkeit ist immer eine nach dem Recht.
Und was Recht ist, ist
letztendlich eine Frage der gesellschaftlichen (nicht zu
verwechseln mit der
politischen!) Gewalt. Die reine Gerechtigkeit waere demnach die
reine Gewalt. Ansonsten
ist Gerechtigkeit eine Leerformel, mit der sich dieses und jenes
einbilden, behaupten
und verlangen laesst. Etwas ueberspitzt koennte man sagen:
Gerechtigkeit ist die
subjektive Gewalt, die man nicht hat.
Die gemeinhin eingeforderte Gerechtigkeit kann also nichts
anderes sein als die
gewuenschte Gesetzlichkeit, letztlich zugespitzte buergerliche
Moral in ihrer ideellen
Form. Kein Wunder, dass bei Gerechtigkeit auf oekonomischer Ebene
dann meist ein
hoeherer Lohn einfaellt, bzw. umgekehrt ein Abbau sozialer
Leistungen gefordert wird.
"Es ist zu erkennen, dass, was hier Idee genannt wird und
eine Hoffnung auf bessere
Zukunft hierueber, an sich nichtig und dass eine vollkommene
Gesetzgebung sowie eine
Bestimmtheit der Gesetze entsprechende Gerechtigkeit im Konkreten
der richterlichen
Gewalt an sich unmoeglich ist." (Hegel)
Und das ist kein unaufloesbarer Antagonismus zum Vorhergesagten:
Als Ideal mag
Gerechtigkeit unmoeglich sein, im Realen wird sie taeglich
vollzogen. Wir halten das
fuer einen scheinbaren Widerspruch, einen, der der buergerlichen
Ideologie notwendig
entspringt. In Hegelscher Terminologie: Gerechtigkeit ist real,
aber nicht immer
wirklich.
Es duenkt, dass es da noch anderes gibt als die Weltlichkeit von
Gesetz und Recht,
naemlich eine buergerliche Geistlichkeit, die die Herzen waermt
und die Maeuler stopft.
An die Gerechtigkeit zu glauben, unterscheidet sich nicht
wesentlich davon, an Gott zu
glauben. Auch wenn das heute nicht mehr der Fall ist, eine
Saekularisierung
stattgefunden hat, ist der Goetzendienst am Vokabular eigentlich
unuebersehbar.
Gerechtigkeit ist eine demokratische Goettin, an der sich alle
halten wollen, wenngleich
die Vorstellungen pluralistisch divergieren moegen. Gerechtigkeit
ist die Anrufung der
buergerlichen Seele durch das buergerliche Subjekt gegen die
buergerliche Realitaet. Die
Pflicht, das Recht zu moegen, ist da schwieriger, aber die selige
Gerechtigkeit, sie ist
unser aller Schatzi.
Ob Gerechtigkeit und Recht gar eine Einheit bilden sollen, diese
Debatte ueberlassen wir
getrost den akademischen Einfaltspinseln und anderen
buergerlichen Reputierlichkeiten.
Der Rechtspositivist Hans Kelsen hat das ganz trocken so gefasst:
"Insofern
Gerechtigkeit eine Forderung der Moral ist, ist in dem
Verhaeltnis von Moral und Recht
das Verhaeltnis von Gerechtigkeit und Recht inbegriffen."
Gerechtigkeit ist keine ueber
das Recht hinausweisende Groesse, wie es sich der gesunde
Menschenverstand stets
einbildet, sondern ein von ihr abgeleiteter Aspekt. Gerechtigkeit
meint reelle
Anerkennung des Rechts bei gleichzeitiger Toleranz ideeller
Abweichungen. Gerechtigkeit
ist ein ideologisches Pendel, das so seine Schwingungen hat und
fuer zusaetzliche
Aufregungen sorgt.
Herrschender Wert
Da wird penetrant die ideologische Basis, die hehre Gerechtigkeit
beschworen, um sich ja
nicht mit den Manifestationen des Rechts auseinandersetzen zu
muessen. Eigentlich
koennte es ja ganz anders sein, lautet die Frohbotschaft aller
Gerechtigkeitsfanatiker.
Diese Frohbotschaft ist freilich eine sich nicht erkennende
Hiobsbotschaft, die jeden
effektiven Widerstand dementiert, indem sie vor substanziellen
Fragen einfach
zurueckschreckt. Ihre grundlegenden Eckpfeiler sind die
obligaten. Gerechtigkeit ist ein
herrschender Wert.
Wahrlich, Gerechtigkeit titelt sich eines dieser grossen fairy
tales of commerce. Alle
sind dafuer, die Linken, die Liberalen, die Rechten.
Dritte-Welt-Gruppen fordern
Fair-trade, Gruene sprechen von Fairteilen, ja der
austrokanadische Multimillionaer
Frank Stronach setzt sich gar fuer eine nun wohl doppeltgerechte
"faire Marktwirtschaft"
ein. Joerg Haider propagiert diese ebenso wie Sozialdemokraten.
Aber auch der oberste
Weltpolizist George Bush kommt ohne Gerechtigkeit nicht aus.
"Infinite justice" benannte
der grosse Freiheitskaempfer unmittelbar nach dem 11. September
den nun anstehenden
Kreuzzug gegen das Boese in der Welt (siehe junge Welt,
27.9.2001).
Und die Intellektuellen von Huntington und Fukuyama bis hin zu
Etzioni und Michael
Walzer assistieren. In der beruechtigten Anzeige "What
were fighting for: A letter from
America" (Fruehjahr 2002) heisst es ganz hingebungsvoll,
dass "das Beste von dem, was
wir allzu leichtfertig amerikanische Werte nennen,
nicht nur Amerika gehoert, sondern
vielmehr das gemeinsame Erbe der Menschheit und somit eine
moegliche Grundlage der
Hoffnung fuer eine auf Frieden und Gerechtigkeit aufgebaute
Weltgemeinschaft ist." Und:
"Wir hoffen, dass dieser Krieg, indem er einem gnadenlosen
globalen Uebel ein Ende
setzt, die Moeglichkeit einer auf Gerechtigkeit gegruendeten
Weltgemeinschaft zu
staerken vermag." Dass moeglicherweise die Gerechtigkeit
eines der gnadenlosesten Uebel
ist, dies zu denken ist reine Blasphemie.
Gleich Marx und Engels sollte klar sein, dass "waehrend der
Herrschaft der Bourgeoisie
die Begriffe Freiheit, Gleichheit etc. herrschen". Sie sind
somit nichts anderes als die
Kampfbegriffe buergerlicher Emanzipation. Kruecken der
Menschlichkeit. Sie sind nicht
nur kapitalistisch kodifiziert, sie sind kapitalistisch
konstituiert.
Geld und Freiheit sind im Kapitalismus Synonyme, Gerechtigkeit
und Gleichheit Modi der
Ordnung bzw. Zuordnung. Marx dazu in den "Grundrissen"
ganz eindeutig: "Da das Geld erst
die Realisierung des Tauschwerts ist und erst bei entwickeltem
Geldsystem das System der
Tauschwerte realisiert hat, oder umgekehrt, so kann das
Geldsystem in der Tat nur die
Realisation dieses Systems der Freiheit und Gleichheit
sein." "Wenn also die
oekonomische Form, der Austausch, nach allen Seiten hin die
Gleichheit der Subjekte
setzt, so der Inhalt, der Stoff, individueller sowohl wie
sachlicher, der zum Ausdruck
treibt, die Freiheit. Gleichheit und Freiheit sind also nicht nur
respektiert im
Austausch, der auf Tauschwerten beruht, sondern der Austausch von
Tauschwerten ist die
produktive, reale Basis aller Gleichheit und Freiheit. Als reine
Ideen sind sie bloss
idealisierte Ausdruecke derselben; als entwickelt in
juristischen, politischen, sozialen
Beziehungen sind sie nur die Basis in einer anderen Potenz."
Lohn, Preis und Profit
Gerechtigkeit zwischen Lohn und Profit bzw. auf jeden Preis
bezogen herrscht, wenn diese
ihrem Wert entsprechend sich gestalten. Das tun sie. Diese
Gerechtigkeit verhindert
freilich nicht Elend und Armut, sie bringt diese regelgerecht
hervor. Wenn jemand sagt,
es sei ungerecht, dass Millionen verhungern und verelenden,
waehrend andere in
Ueberfluss leben, hat diese Person weder den Charakter
menschlichen Leids begriffen noch
den der Gerechtigkeit. Es ist wertgerecht, dass die Menschen, die
nicht in-Wert-gesetzt
werden koennen, an ihm verrecken. Der Markt ist so, und man muss
froh sein, dass diese
liberale, also sozialdarwinistische Instanz nicht die einzige ist
und sein kann, die
ueber die Schicksale entscheidet.
Wir leben in einer weitgehend gerechten Welt. Gerade das ist
unser Problem. Was ist also
gerecht zwischen einem Arbeiter und einem Unternehmer? Doch
nichts anderes als die
Realisierung des Werts der Ware Arbeitskraft. Um gar nichts
anderes geht es im
Klassenkampf. "Gleiche Exploitation der Arbeitskraft ist das
erste Menschenrecht des
Kapitals." (Marx) Gegen den deutschen Nationaloekonomen
Adolph Wagner gewandt, schreibt
Marx: "Dunkelmann schiebt mir unter, dass der von den
Arbeitern allein produzierte
Mehrwert den kapitalistischen Unternehmern ungebuehrlicher Weise
verbliebe. Nun sage
ich das direkte Gegenteil; naemlich, dass die Warenproduktion
notwendig auf einen
gewissen Punkt zur kapitalistischen Warenproduktion
wird, und dass nach dem sie
beherrschenden Wertgesetz der Mehrwert dem
Kapitalisten gebuehrt und nicht dem
Arbeiter."
Marx haelt ausdruecklich fest: "Die Gerechtigkeit der
Transaktionen, die zwischen den
Produktionsagenten vorgehn, beruht darauf, dass diese
Transaktionen aus den
Produktionsverhaeltnissen als natuerlicher Konsequenz
entspringen. Die juristischen
Formen, worin diese oekonomischen Transaktionen als
Willenshandlungen der Beteiligten,
als Aeusserungen ihres gemeinsamen Willens und als der
Einzelpartei gegenueber von
Staats wegen erzwingbare Kontrakte erscheinen, koennen als blosse
Formen diesen Inhalt
selbst nicht bestimmen. Sie druecken ihn nur aus. Dieser Inhalt
ist gerecht, sobald er
der Produktionsweise entspricht, ihr adaequat ist. Er ist
ungerecht, sobald er ihr
widerspricht. Sklaverei, auf Basis der kapitalistischen
Produktionsweise, ist ungerecht;
ebenso der Betrug auf die Qualitaet der Ware." Gerecht ist
demnach, was nach den
aktuellen gesellschaftlichen Gesetzlichkeiten gerechtfertigt
werden kann.
Um es mit aller Deutlichkeit zu sagen: Der Kapitalismus ist die
Verwirklichung der
Gerechtigkeit. Gerecht ist die Weltwirtschaftsordnung, gerecht
ist die Ausbeutung,
gerecht sind Loehne, Preise und Mieten. So viel Gerechtigkeit hat
es noch nie gegeben.
Der Tausch ist die entsprechende und somit gerechte Form der
Realisierung des
Wertgesetzes. Die Welt ist gerecht. Erstmals und letztmals. Alles
andere wiederum ist
ein Geruecht.
Vier Euro oder acht Euro?
Des Raetsels kompliziert einfache Loesung ist: Der Tausch ist in
seiner konkreten
Erscheinungsform ausgetauschter Gebrauchswerte, d.h. der
Konsumtionsmoeglichkeiten,
ungleich, in der Substanz vergegenstaendlichter Arbeit aber
gleich. Der Tausch ist
wertgerecht, bemisst man ihn an der Aequivalenz abstrakter
Arbeitseinheiten, er ist aber
erscheinungsungerecht, da er Produkte und Leistungen nach der
durchschnittlich
enthaltenen, d.h. der gesellschaftlich notwendigen
Arbeitssubstanz (=Wert) bemisst. Was
von der Form des Wertes her voellig gerecht ist, erscheint auf
der inhaltlichen Ebene
der stofflichen Allokation von Reichtum als eine himmelschreiende
Ungerechtigkeit. Das
formal Gleichwertige kann sich in unterschiedlichen stofflichen
Quantitaeten aeussern.
Wie umgekehrt. Das Gleiche ist gleich und doch nicht.
Der Reichtum ist nur der stoffliche Traeger des Werts, nicht mit
ihm identisch, auch
wenn sie nicht getrennt auftreten, in der Ware eins sind. Ein
Tisch mag ein Tisch sein
nach dem Gebrauchswertinteresse, nach dem Tauschwertinteresse
fragt man nur nach der
darin enthaltenen abstrakten Arbeit. Kurzum, was kostet er? Auf
der staendigen
Identifizierung und somit Verwechslung von Wert und Reichtum baut
der ganze gesunde
Menschenverstand in all seinen Varianten seine beschraenkten
Sichtweisen auf. Merke:
"Alles hat nur Wert, sofern man es eintauschen kann, nicht
sofern es selbst etwas ist."
(Horkheimer/Adorno)
Wer Gerechtigkeit ausserhalb des Werts sucht, geht in die Irre.
Sie ist stets eine vor
dem Wert, alles andere ist moralisches Insistieren oder oft noch
schlimmer:
unertraegliches Gesuder, das jedoch nicht und nicht aufhoeren
will. Mit der Forderung
nach irgendeiner Gerechtigkeit bezieht man sich affirmativ, nicht
kritisch auf die
buergerliche Gesellschaft. Nicht moralische Kritik ist
erforderlich, sondern Kritik der
Moral. Die Forderung "Ein gerechter Tagelohn fuer ein
gerechtes Tagewerk" wurde ja von
Marx und Engels immer zurueckgewiesen. Marx wandte sich gegen die
im Gothaer Programm
der deutschen Sozialdemokratie formulierte Phrase von der
"gerechten Verteilung des
Arbeitsertrags".
Schon im "Manifest" bliesen Marx und Engels zum Feldzug
gegen den apostolischen
Moralismus der Zeit. "Es gehoeren hierher: Oekonomisten,
Philantropen, Humanitaere,
Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen,
Wohltaetigkeitsorganisierer, Abschaffer
der Tierquaelerei, Maessigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der
buntscheckigsten Art",
heisst es da. Die Unmenschlichkeit, die Marx anprangerte
man lese das achte Kapitel
des ersten "Kapital"-Bandes: "Der Arbeitstag"
, firmierte bei ihm nicht unter
Ungerechtigkeit, so gross seine nachlesbare Abscheu auch gewesen
ist. "Die Kommunisten
predigen ueberhaupt keine Moral", haelt Marx gegenueber
Stirner ganz kategorisch fest.
Hinter der Losung der Gerechtigkeit verbirgt sich letztendlich
doch nur die Formel von
gerechten Preisen, gerechten Pensionen oder gerechten Loehnen.
Was aber waere da
Gerechtigkeit? Sind vier Euro Stundenlohn fuer eine
Textilarbeiterin ungerecht, acht
Euro aber gerecht? Sind elf Euro fuer einen Erdoelarbeiter
ungerecht, 22 aber gerecht?
Warum nicht zehn Euro fuer beide? Sind 150 Euro fuer ein
"jW-Thema" gerecht oder
ungerecht? Waere die Halbierung des Kanzlersalaers nicht ebenso
gerecht wie die
Verzehnfachung des jW-Honorars supergerecht? Waeren nicht Ober-
und Untergrenzen
gerecht, ja vielleicht ueberhaupt ein Einheitslohn? Welche
Differenzierungen waeren
gerecht?
Kein Fragesatz, der nicht vor Dummheit strotzt. Man sieht, die
ganze Debatte ueber
Einkommenshoehen ist absurdes buergerliches Theater. Neid- und
Leidpfuscherei. Man kann
ja viel wollen im Leben, ja man soll. Nahrung, Wohnung, Erholung,
Liebe, Gesundheit,
Spass, das braucht man, von mir aus auch Champagner,
Schweinebraten, Urlaubsreisen,
Ruderboote, Videorecorder und Gummistiefel wer aber
braucht Gerechtigkeit?
Vorletzte Wahrheiten
Anstatt also Beduerfnis und Begehrlichkeit, ihre Moeglichkeiten
und Schranken zu
ueberpruefen, beruft man sich lieber auf die Fetische
buergerlichen Daseins, auf
Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, die man partout nicht
eingeloest sehen will und
daher unablaessig auf ihre Erfuellung pocht. Auf der Tagesordnung
stuende aber die
Losloesung davon: Es soll das Wollen sich direkt artikulieren,
nicht sich als
Gerechtigkeit kostuemieren.
Die buergerliche Leitwerte hatten bestimmende Kraft in der Epoche
seit der Aufklaerung
bis weit in die zweite Haelfte dieses Jahrhunderts. Heute ist
diese Kraft aber
weitgehend erschoepft und aufgebraucht, sie wirkt zusehends
abgestanden und
abgeschmackt. Jene Werte verbreiten immer mehr eine
"schweissfuessige Atmosphaere" (Karl
Kraus). Zukuenftige Emanzipationsbewegungen werden nicht an den
verinnerlichten Werten
der buergerlichen Epoche anknuepfen koennen, sie werden diese
transformatorisch
ueberwinden muessen.
Es geht um die radikale Historisierung vermeintlich ontologischer
Konstanten. Schon
Friedrich Engels etwa notierte in den Vorarbeiten zum
"Anti-Duehring": "Es hat also fast
die ganze bisherige Geschichte dazu gebraucht, den Satz von der
Gleichheit =
Gerechtigkeit herauszuarbeiten, und erst als eine Bourgeoisie und
ein Proletariat
existierten, ist es gelungen. Der Satz der Gleichheit ist aber
der, dass keine Vorrechte
bestehen sollen, ist also wesentlich negativ, erklaert die ganze
bisherige Geschichte
fuer schlecht. Wegen seines Mangels an positivem Inhalt und wegen
seiner kurzhaendigen
Verwerfung alles Fruehern eignet er sich ebensosehr fuer
Aufstellung durch eine grosse
Revolution (...) wie fuer spaetere systemfabrizierende
Flachkoepfe. Aber Gleichheit =
Gerechtigkeit als hoechstes Prinzip und letzte Wahrheit
hinstellen zu wollen, ist
absurd." "So ist die Vorstellung der Gleichheit selbst
ein historisches Produkt, zu
deren Herausarbeitung die ganze Vorgeschichte noetig, die also
nicht von Ewigkeit her
als Wahrheit existierte." Und: "Mit Einfuehrung der
rationellen Gleichheit verliert
diese Gleichheit selbst alle Bedeutung."
Die Werte des Werts erlebten in der buergerlichen Epoche eine
ideologische
Hochststilisierung sondergleichen, alle Bewegungen, von rechts
bis links, beriefen sich
letztlich auf sie, traten in ihrem Namen auf und fuer sie ein,
was natuerlich auch alles
ueber ihren Grundcharakter aussagt. Das Absingen des
buergerlichen Kanons, der "alten
weltbekannten demokratischen Litanei" (Marx) ist allgemeiner
Konsens geworden.
Tendenziell allgegenwaertig. Doch dieser Gesang ist nicht so
maechtig wie er laut ist.
In seiner unablaessigen Wiederholung klingt der Refrain
kapitalkonformer Rezitative
immer falscher, man denke an Derrida oder Hardt/Negri. Die
Harmonie ist erheblich
gestoert, die Dissonanzen sind kein konjunkturelles Phaenomen,
sie lassen vielmehr eine
andere Melodie erahnen.
Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit sind allerhoechstens die
vorletzten Wahrheiten der
Menschheit. Wahrscheinlich nicht einmal das. So paradox es dem
modernen Individuum
erscheint, gerade darum geht es: Nicht mehr die Gerechtigkeit zu
verinnerlichen, sondern
sich ihrer zu entledigen! Sie traegt nirgendwo hin, wo wir nicht
schon gewesen. Im
Zeichen von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ist heute
keine emanzipatorische
Praxis mehr zu entwickeln. Diese sind nichts anderes als
Grundprinzipien des Kapitals.
Der Sozialismus ist jenseits davon. Kommunisten sind nicht jene,
die die Gerechtigkeit
verwirklichen wollen, sondern solche, die die Notwendigkeit zur
Gerechtigkeit abschaffen
moechten.
Den Artikel finden Sie unter:
http://www.jungewelt.de/2003/02-12/004.php
(c) Junge Welt 2003
http://www.jungewelt.de
Prima Verweis Stefan, der Schandl ist Spitze.
Wenn wir Wakler uns doch tatsächlich über die folgenden zwei
Aussagen
verständigen könnten (d.h. nicht, die alten Gerechtigkeits- und
gleichheitshoffnungen einfach ablegen, sondern sie in ihrem
früheren Sinn und
heutigem Unsinn begreifen):
1. "Der Satz der Gleichheit .... erklaert die ganze
bisherige Geschichte fuer
schlecht. Wegen seines Mangels an positivem Inhalt ... eignet er
sich
ebensosehr fuer Aufstellung durch eine grosse Revolution [UW:
"Die Partei,
die Partei, die hat immer recht ... denn wer kämpft für das
Recht, er hat
immer recht" oder "Die Internationale erkämpft das
Menschenrecht" -- es geht
hier um durch und durch bürgerliche Bewegungen, was einst
großen
zivilisatorischen Sinn hatte] ... wie fuer spaetere
systemfabrizierende
Flachkoepfe. Aber Gleichheit = Gerechtigkeit als hoechstes
Prinzip und letzte
Wahrheit hinstellen zu wollen, ist absurd. ..."
2. "Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit sind allerhoechstens
die vorletzten
Wahrheiten der Menschheit. ... So paradox es dem modernen
Individuum
erscheint, gerade darum geht es: Nicht mehr die Gerechtigkeit zu
verinnerlichen, sondern sich ihrer zu entledigen! Sie traegt
nirgendwo hin,
wo wir nicht schon gewesen. Im Zeichen von Freiheit, Gleichheit
und
Gerechtigkeit ist heute keine emanzipatorische Praxis mehr zu
entwickeln.
Diese sind nichts anderes als Grundprinzipien des Kapitals. Der
Sozialismus
ist jenseits davon. Kommunisten sind nicht jene, die die
Gerechtigkeit
verwirklichen wollen, sondern solche, die die Notwendigkeit zur
Gerechtigkeit
abschaffen moechten.
Bis Mittwoch, Gruß Uli
John Holloway:
Zwölf Thesen über Anti-Macht
1. Ausgangspunkt ist die Negativität
Beginnen
wir mit einem Schrei, nicht mit dem Verb. Angesichts der
Verstümmelung menschlicher Existenz durch den Kapitalismus ist
es ein Schrei der Traurigkeit, ein Schrei des Erschreckens, ein
Schrei der Wut, ein Schrei der Negation: Nein!
Das Denken muss negativ sein, um die Wahrheit des Schreis
auszudrücken. Wir wollen die Welt nicht verstehen, ohne sie zu
negieren. Das Ziel der Theorie besteht darin, die Welt negativ zu
begreifen, nicht von der Praxis getrennt, sondern als ein Moment
von Praxis, als Teil des Kampfes, um die Welt zu verändern, um
aus ihr einen würdigen Ort der Menschheit zu machen.
Wie können wir jedoch nach all dem, was passiert ist, anfangen
daran zu denken die Welt zu verändern?
2. Eine würdige Welt kann nicht mittels des Staates geschaffen werden
Während
des vergangenen Jahrhunderts konzentrierte sich ein Großteil der
Anstrengungen, eine würdige Welt zu schaffen, auf den Staat und
die Vorstellung, die staatliche Macht zu erobern. Die wichtigen
Auseinandersetzungen (zwischen Reformisten und Revolutionären)
kreisten um die Frage, wie staatliche Macht erobert werden
könnte, sei es auf dem parlamentarischen oder
außer-parlamentarischen Weg. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts
macht jedoch deutlich, dass die Frage der Machteroberung gar
nicht so wichtig war und ist. In keinem Fall folgte aus der
Eroberung staatlicher Macht das, was sich jene, die dafür
kämpften, erhofft hatten. Weder die reformistischen, noch die
revolutionären Regierungen schafften es, die Welt radikal zu
verändern.
Es ist einfach, die Führungen dieser Bewegungen des Verrats an
der Bewegungen zu bezichtigen. Die Tatsache, dass es derart viele
Verrat gab, verweist jedoch auf tiefer gehende Ursachen für das
Scheitern der radikalen, sozialistischen oder kommunistischen
Regierungen. Der Grund, warum man den Staat nicht dafür nutzen
kann, um eine radikale Veränderung der Gesellschaft zu
erreichen, liegt darin, dass es sich beim Staat um eine soziale
Form handelt, die in die Totalität der kapitalistischen sozialen
Verhältnisse eingebettet ist. Die Existenz des Staates als eine
von der Gesellschaft separate Instanz bedeutet, dass er
unabhängig von den konkreten Inhalten seiner Politik aktiv dazu
beiträgt, die Menschen von der Kontrolle über ihr eigenes Leben
zu trennen. Der Kapitalismus ist vor allem das: Die Trennung der
Menschen von ihrem eigenen Tun. Eine am Staat orientierte Politik
reproduziert unausweichlich diesen Spaltungsprozess, wo Führer
von den Geführten, wo ernste politische Aktivität von
persönlichen Angelegenheiten getrennt werden. Eine am Staat
orientierte Politik, weit davon entfernt eine radikale
Veränderung der Gesellschaft zu erreichen, führt zu einer
zunehmenden Unterordnung der Opposition unter die Logik des
Kapitalismus.
Die Vorstellung, die Welt könnte über den Staat verändert
werden, ist eine Illusion. Wir haben das Glück, das Ende dieser
Illusion zu erleben.
3. Die einzige Form, um radikale Veränderungen zu erreichen, ist nicht die Eroberung der Macht, sondern die Auflösung der Macht
Die Revolution ist so dringlich wie nie zuvor. Die Schrecken, die aus der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft entstehen, treten immer deutlicher zu Tage. Wenn die Revolution mittels der Eroberung staatlicher Macht sich als Illusion erwiesen hat, dann bedeutet das nicht, dass wir die Idee der Revolution aufgeben müssen. Aber es ist notwendig, sie in anderen Begriffen zu fassen: Nicht als Übernahme der Macht, sondern als Auflösung der Macht.
4. Der Kampf um die Auflösung der Macht ist der Kampf für die Emanzipation der kreativen Macht (potencia) von der instrumentellen Macht (potestas)
Um
die Welt zu verändern, ohne die Macht zu übernehmen, muss eine
Unterscheidung zwischen kreativer Macht (potencia) und
instrumenteller Macht (potestas) getroffen werden.
Jeder Versuch die Gesellschaft zu verändern, beinhaltet Handeln,
Machen. Dieses Machen bedeutet, dass wir dazu in der Lage sind,
etwas zu tun, bedeutet kreative Macht. Häufig benutzen wir das
Wort "Macht" in diesem Sinne, als etwas Positives, wenn
uns eine Handlung gemeinsam mit anderen (eine Demonstration oder
sogar ein gutes Seminar) das Gefühl von Macht gibt. Macht in
diesem Sinne hat seine Grundlage im Tun: kreative Macht
(Spanisch: poder-hacer; wörtlich: "tun-können").
Kreative Macht ist immer gesellschaftlich, immer Teil des
gesellschaftlichen Flusses von Handlungen. Unsere Fähigkeit zu
tun, ist Resultat des Tuns anderer und schafft die Bedingungen
für zukünftiges Tun. Es ist unmöglich sich ein Tun
vorzustellen, das nicht in der einen oder anderen Form in das Tun
anderer integriert ist, in der Vergangenheit, der Gegenwart oder
der Zukunft.
5. Kreative Macht wird transformiert, transformiert sich in instrumentelle Macht, wenn sie mit dem Tun bricht
Die
Transformation kreativer Macht in instrumentelle Macht
unterbricht diesen gesellschaftlichen Handlungsfluss. Jene,
welche die instrumentelle Macht ausüben, trennen das Geschaffene
(hecho) vom gegenwärtigen Schaffen und erklären das Geschaffene
zu ihrem. Die Aneignung des Geschaffenen ist gleichzeitig die
Aneignung der Mittel des Schaffens und erlaubt den Mächtigen,
dass sie das Handeln der tätigen Menschen kontrollieren. Die
tätigen Menschen sind so von dem, was sie selbst geschaffen
haben, getrennt, sowie von den Mitteln des Schaffens und vom
Schaffen selbst. Damit sind sie von sich selbst getrennt. Diese
Trennung ist die Basis jeder Gesellschaft, in der einige Macht
über andere ausüben. Im Kapitalismus erreicht diese Trennung
ihren Höhepunkt.
Der gesellschaftliche Fluss der Handlungen wird zerstört.
Kreative Macht transformiert sich in instrumentelle Macht. Jene,
die das Tun anderer kontrollieren, erscheinen nun selbst als die
Macher der Gesellschaft. Und jene, deren Tun kontrolliert wird
durch die anderen, werden unsichtbar, ohne Stimme, ohne Gesicht.
Kreative Macht erscheint uns nicht mehr als Teil des
gesellschaftlichen Flusses, sondern existiert nur noch in der
Form persönlicher Macht. Für die Mehrheit der Menschen wird
kreative Macht in ihr Gegenteil verkehrt, in Ohnmächtigkeit.
Oder aber sie wird durch andere bestimmt. Die Mächtigen schaffen
es, kreative Macht in instrumentelle Macht zu transformieren, in
die Macht anderen zu sagen, was sie zu tun haben und damit
geraten sie in Abhängigkeit vom Tun anderer.
In der gegenwärtigen Gesellschaft existiert kreative Macht
jedoch nur in Form ihrer eigenen Negation als instrumentelle
Macht. Das bedeutet nicht, dass die kreative Macht aufhört zu
existieren. Aber sie existiert in ihrer negierten Form, in einer
antagonistischen Spannung zu ihrer eigenen Existenzform als
instrumentelle Macht.
6. Die Unterbrechung des Handlungsflusses ist ein Bruch mit jedem Teil der Gesellschaft, mit jedem Aspekt von uns
Die
Abspaltung des Geschaffenen vom Schaffensprozess und von den
Schaffenden selbst führt dazu, dass die Menschen sich zueinander
nicht als Schaffende ins Verhältnis setzen, sondern als
BesitzerInnen (oder Nicht-BesitzerInnen) des
Gemachten-Geschafften (als eine Sache, die losgelöst vom
Entstehungsprozess gesehen wird). Die Beziehungen zwischen
Menschen bestehen wie Beziehungen zwischen Dingen. Die Menschen
existieren nicht als Schaffende, sondern als passive TrägerInnen
der Sachen.
Diese Spaltung der Schaffenden vom Schaffen - und damit von sich
selbst - wird in der Literatur mit eng verwandten Begriffen
diskutiert: Entfremdung (der junge Marx), Fetischismus (der alte
Marx), Verdinglichung (Lukacs), Disziplin (Foucault) oder
Identifikation (Adorno). Alle diese Begriffe zeigen deutlich,
dass die instrumentelle Macht nicht als etwas uns außen
Stehendes verstanden werden kann, sondern jeden Teil unseres
Lebens durchdringt. Alle diese Begriffe beziehen sich auf eine
Verhärtung des Lebens, eine Eindämmung des gesellschaftlichen
Handlungsflusses, eine Schließung von Möglichkeiten.
Das Tun wird auf ein Sein reduziert. Dies ist der Kern der
instrumentellen Macht. Während das Tun neben dem Sein auch das
Nicht-Sein mit einschließt, reißt der Bruch mit dem Tun das
"Nicht-Sein" heraus. Was uns bleibt, ist eine einfache
"wir sind"-Identität. Das "und wir sind
nicht" wird vergessen oder zum reinen Traum degradiert. Man
nimmt uns die Möglichkeit. Die Zeit vereinheitlicht sich. Die
Zukunft ist die Weiterführung der Gegenwart; die Vergangenheit
der Vorläufer der Gegenwart. Alles Tun, alle Bewegungen werden
inhaltlich fixiert und damit begrenzt. Es kann schön sein, von
einer würdigen Welt zu träumen, aber es ist eben nicht mehr als
ein Traum. Die Herrschaft der instrumentellen Macht ist die
Herrschaft des "so sind die Sachen eben", diese
Herrschaft schafft die Identität.
7. Machen wir mit beim Bruch mit unserem eigenen Tun und mit der Schaffung unserer eigenen Unterwerfung
Als Schaffende, die von unserem eigenen Tun getrennt sind, tragen wir zu unserer eigenen Unterwerfung bei. Als ArbeiterInnen reproduzieren wir das Kapital, das uns unterwirft. Als Lehrende an der Universität spielen wir eine aktive Rolle in der Identifikation der Gesellschaft, in der Transformation des Tuns in das Sein. Wenn wir definieren, klassifizieren und quantifizieren oder wenn wir die Ansicht vertreten, dass das Ziel der Sozialwissenschaften sei, die Gesellschaft so zu verstehen wie sie ist oder wenn wir die Gesellschaft objektiv studieren wollen - als wenn sie ein von uns getrenntes Objekt wäre -, dann nehmen wir aktiv an der Negation des Tun teil durch die Trennung von Subjekt und Objekt, durch die Aufspaltung von Schaffendem und Geschaffenem.
8. Es gibt kein symmetrisches Verhältnis zwischen kreativer und instrumenteller Macht
Instrumentelle
Macht ist die Unterbrechung und Negation des Tuns. Es ist die
aktive und immer wieder stattfindende Negation des
Handlungsflusses, von uns selbst, die wir uns ja über das
gesellschaftliche Handeln konstituieren. Zu meinen, dass die
Eroberung der instrumentellen Macht zur Emanzipation dessen
führen könne, was sie negiert, ist absurd.
Die kreative Macht ist gesellschaftlich. Es ist die Konstitution
von uns selbst, die Praxis der gegenseitigen Anerkennung der
Würde.
Die Bewegung der kreativen Macht gegen die instrumentelle Macht
kann nicht als Gegen-Macht verstanden werden (denn der Terminus
suggeriert eine Symmetrie zwischen Macht und Gegenmacht), sondern
als Anti-Macht (dieser Terminus beinhaltet für mich die
vollständige Asymmetrie zwischen der Macht und unseren
Kämpfen).
9. Anscheinend durchdringt uns die instrumentelle Macht derart stark, dass als einzige Lösung eine Intervention von außen möglich scheint. Das ist aber keine Lösung.
Es
ist nicht schwer hinsichtlich der gegenwärtigen Gesellschaft zu
sehr pessimistischen Schlussfolgerungen zu kommen. Die
Ungerechtigkeiten, Gewalt und Ausbeutung sind so offensichtlich,
dass kein Ausweg möglich scheint. Die instrumentelle Macht
scheint jeden Aspekt unseres Lebens derart stark zu durchdringen,
dass die Vorstellung "revolutionärer Massen" schwierig
ist. In der Vergangenheit führte die weitgehende Durchdringung
kapitalistischer Herrschaft vielen zu der Einschätzung, dass die
Lösung in der Führung einer avantgardistischen Partei gesehen
werden müsste. Tatsächlich war das aber überhaupt keine
Lösung, denn damit wurde die eine Form instrumenteller Macht
durch eine andere ersetzt.
Die einfachste Antwort ist pessimistische Desillusionierung. Der
anfangs erwähnte Wutschrei gegen den Horror des Kapitalismus
wird zwar nicht aufgegeben, aber wir lernen damit zu leben. Wir
verwandeln uns zwar nicht in Anhänger des Kapitalismus, aber wir
akzeptieren, dass man ohnehin nichts zu kann. Die
Desillusionierung beinhaltet, in die Identifikation zu fallen, zu
akzeptieren, dass das was ist, ist. Beinhaltet schließlich an
der Trennung von Schaffen und Geschaffenen teilzuhaben.
10. Die einzige Form, den offensichtlich durch Macht geschlossenen Zirkel aufzubrechen besteht darin zu sehen, dass die Veränderung der kreativen Macht in instrumentelle Macht ein Prozess ist, der notwendigerweise sein Gegenteil in sich trägt: Die Fetischisierung beinhaltet die Anti-Fetischisierung
In
der Regel wird Entfremdung (Fetischismus, Verdinglichung,
Disziplin, Identifikation etc.) diskutiert, als würde es sich
dabei um vollendete Tatsachen handeln. Von den kapitalistischen
Formen sozialer Verhältnisse wird so gesprochen, als wenn sie zu
Beginn des Kapitalismus entstanden wären und solange existierten
bis dieser durch eine andere Produktionsweise ersetzt wird. Mit
anderen Worten erfolgt eine Trennung von Entstehung und Existenz:
Die Entstehung des Kapitalismus wird in die Vergangenheit verlegt
und man nimmt an, dass seine heutige Existenz stabil sei. Diese
Sichtweise führt notwendig zum Pessimismus.
Wenn wir jedoch die Trennung von Tun und Getanem (Schaffen und
Geschaffenem) nicht als etwas Endgültiges betrachten, sondern
als einen Prozess, beginnt sich die Welt zu öffnen. Schon die
Tatsache, dass wir von Entfremdung sprechen, bedeutet, dass die
Entfremdung nicht total sein kann. Versteht man Trennung,
Entfremdung etc. als Prozess, dann bedeutet das, dass die weitere
Entwicklung nicht vorherbestimmt ist, dass die Transformation der
kreativen in instrumentelle Macht immer offen ist, immer in Frage
gestellt. Ein Prozess beinhaltet eine Bewegung der Entstehung,
bedeutet, dass das was geschieht (Entfremdung), immer ist und
gleichzeitig nicht ist. Entfremdung ist also eine Bewegung gegen
die eigene Negation, gegen die Anti-Entfremdung. Die Existenz der
instrumentellen Macht impliziert die Existenz der
Anti-instrumentellen Macht oder - in andern Worten - die
Emanzipationsbewegung von der instrumentellen Macht.
Was in Form seiner Negation existiert, was durch das
Negiert-werden existiert, existiert wirklich, trotz seiner
Negation, als Negation des Prozesses der Negation. Der
Kapitalismus basiert auf der Negation der kreativen Macht, der
Kreativität, der Würde: aber das bedeutet nicht, dass diese
nicht existieren. Die Zapatistas haben gezeigt, dass die Würde
trotz ihrer Negation existiert. Sie existiert nicht nur, sondern
sie existiert in der einzigen Form, in der sie in dieser
Gesellschaft existieren kann: Als Kampf gegen die eigene
Negation. Auch kreative Macht existiert nicht als eine Insel im
Meer instrumenteller Macht, sondern als einzig mögliche Form:
Als Kampf gegen ihre eigene Negation. Auch Freiheit besteht
nicht, wie uns die Liberalen glauben machen wollen, als etwas
Unabhängiges von den gesellschaftlichen Antagonismen, sondern
als einzig mögliche Form in einer von Herrschaftsverhältnissen
durchzogenen Gesellschaft: Als Kampf gegen diese Herrschaft.
Die reale und materielle Existenz dessen, was in Form seiner
eigenen Negation existiert, bildet die Basis der Hoffnung.
11. Die Möglichkeit einer radikalen Veränderung der Gesellschaft hängt von der materiellen Kraft ab des Negierten ab
Die
materielle Kraft des Negierten kann man auf verschiedene Art
betrachten.
Zum einen kann man sie in der Unendlichkeit der Kämpfe sehen,
die nicht den Machtgewinn über andere zum Ziel haben, sondern
lediglich die Kraft unserer kreativen Macht, unseres Widerstandes
gegen die Herrschaft über andere. Diese Kämpfe nehmen
verschiedene Formen an, von der offenen Rebellion bis zu
Kämpfen, um die Kontrolle über den Arbeitsprozess oder Zugang
zu Bildung oder Gesundheitsdiensten zu erlangen oder zu
verteidigen. Oder als Bekräftigung der fragmentierten und
häufig lautlosen Würde innerhalb des Haushaltes. Der Kampf um
Würde - um das, was in der gegenwärtigen Gesellschaft negiert
wird - kann auch an vielen Formen beobachtet werden, die nicht
eindeutig politisch sind: In der Literatur, in der Musik, in den
Märchen. Der Kampf gegen die Unmenschlichkeit ist
allgegenwärtig, er ist unserer eigenen Existenz als menschliche
Wesen eingeschrieben.
Zweitens kann man die Kraft des Negierten in der Abhängigkeit
der instrumentellen Macht von dem, was es negiert, sehen. Die
Mächtigen, deren kreative Macht in der Fähigkeit besteht,
anderen zu sagen, was sie zu tun haben, sind immer in ihrer
Existenz vom Tun der anderen abhängig. Die ganze Geschichte der
Herrschaft kann als Kampf der Mächtigen verstanden werden, sich
aus ihrer Abhängigkeit von den Ohnmächtigen zu befreien. Der
Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus kann nicht nur als
Kampf der Knechte gesehen werden, wo diese sich von den Herren
befreien, sondern als Kampf der Herren, um sich von den Knechten
zu befreien, indem sie ihre Macht in Geld und damit Kapital
verwandelt haben. Dieselbe Suche nach Freiheit gegenüber den
ArbeiterInnen kann in der Einführung von Maschinen gesehen
werden, oder in der massiven Umwandlung von produktivem Kapital
in Geld, was im gegenwärtigen Kapitalismus eine derart wichtige
Rolle spielt. In jedem Fall ist die Flucht der Mächtigen vor den
Schaffenden vergebens. Es gibt keine andere Möglichkeit als dass
instrumentelle Macht aus der Umwandlung der kreativen Macht
besteht. Die Mächtigen können sich aus ihrer Abhängigkeit von
den Ohnmächtigen nicht befreien.
Diese Abhängigkeit äußert sich drittens in der Instabilität
der Mächtigen, in der Tendenz des Kapitals zur Krise. Die Flucht
des Kapitals vor der Arbeit, indem die ArbeiterInnen durch
Maschinen ersetzt werden und Kapital in Geld verwandelt wird,
konfrontiert das Kapital mit seiner letztendlichen Abhängigkeit
von der Arbeit (d.h. von seiner Fähigkeit, das menschliche Tun
in abstrakte Arbeit zu verwandeln, in Werte schaffende), was sich
im Rückgang der Gewinne zeigt. In der Krise zeigt sich die Kraft
dessen, was das Kapital negiert, d.h. der nicht untergeordneten
kreativen Macht.
12. Die Revolution ist dringend, aber ungewiss. Keine Antwort, sondern eine Frage.
Die
orthodox-marxistischen Theorien suchten die Gewissheit auf der
Seite der Revolution. Dies geschah mit dem Argument, dass die
historische Entwicklung unvermeidlich zur Entstehung der
kommunistischen Gesellschaft führen würde. Dieser Versuch war
ein vollständiger Irrtum, weil es keine Sicherheit bei der
Schaffung einer selbstbestimmten Gesellschaft geben kann.
Gewissheit kann man in der Vereinheitlichung der Zeit finden, in
der Festschreibung des Tuns im Sein. Selbstbestimmung ist
notwendigerweise ungewiss. Der Tod der alten Gewissheiten stellt
eine Befreiung dar.
Aus denselben Gründen kann die Revolution nicht als Antwort
verstanden werden, sondern nur als Frage, als eine Suchbewegung
hin zur Realisierung der Würde. Preguntando caminamos (fragend
gehen wir voran).
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